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Digital@Scale als Transformationsprozess erfasst das gesamte Unternehmen

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Der Smarter Service Talk mit Dr. Jürgen Meffert von McKinsey.

Herr Meffert, Ihre zentrale These lautet: So zu tun, als ob man ein Start-up wäre, ist kein Erfolgsweg für Unternehmen hin zur Digitalisierung.

Das stimmt. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Vorgehensweisen von Unternehmen. Ich beobachte derzeit drei prinzipielle Wege: Die erste Gruppe von Firmen meint, sie könne sich mit einem neuen Venture neu erfinden. Die Idee, auszugründen und Ventures ins Leben zu rufen, ist gut. Wer ein solches Ziel strategisch angeht, darf aber nicht erwarten, damit einen Marktführer aufzubauen. Das hat es in der Wirtschaftsgeschichte noch nie gegeben und wird es auch nicht geben. Jedes dieser Ventures befindet sich im Wettbewerb mit vielen anderen Playern.

Die zweite Gruppe von Marktteilnehmern sind Lösungsanbieter. Sie meinen, Digitalisierung sei ein IT-Problem und könne via Outsourcing von ihnen selbst für die zu transformierenden Unternehmen erledigt werden. Das halte ich für einen großen und fatalen Fehler. In der Digitalisierung verändern sich die Geschäftsprozesse auf eine Art, die sich am Beginn der Reise noch gar nicht beschreiben lässt.

Der dritte Weg ist in meinen Augen der sinnvollste: Unternehmen müssen ihre relevanten Assets in das digitale Zeitalter transformieren. Das ist schwierig. Es gilt herauszufinden, welches die relevanten Assets sind: der Kundenstamm, die Technologie, die Marke? Wofür ist der Kunde wirklich bereit zu zahlen? Im Automobilbau wird ein Sportwagenhersteller mit Sicherheit nicht den Verbrennungsmotor in das digitale Zeitalter hinüberretten, obwohl sich das Unternehmen in der Vergangenheit über Motorleistung und Rennerfolge differenziert hat. In Zukunft werden es Elektro-Antriebe sein. Die Assets werden die Marke und sicherlich auch die Kundenplattform sein, denn das Unternehmen braucht auch weiterhin ein Wertversprechen, das es erfüllen muss: eine sportliche Fahrweise in neuer Technologie.

Ich nenne diese Vorgehensweise Digital@Scale. Die Transformation betrifft das gesamte Unternehmen und nicht nur neue Ventures. Am Ende muss sich das Unternehmen entweder komplett von seinem alten Geschäft trennen und neu erfinden, oder es nutzt Ventures als Vehikel, um in einer agilen Art und Weise neue Dinge auszuprobieren. Diese Dinge müssen dann aber zwingend auf das Gesamtunternehmen übertragen werden.

Corporate Start-ups sind trotzdem en vogue, auch Inkubatoren und Acceleratoren. Warum sind all diese Ansätze aus Ihrer Sicht zum Scheitern verurteilt?

Wie definieren wir Erfolg und Scheitern? Wer sagt, er brauche ein Portfolio an Corporate Start-ups und meint, es werde der nächste Google oder Amazon dabei sein, der irrt nicht nur, sondern setzt möglicherweise auch völlig falsche Maßstäbe. Hilfreich ist es aber, mit Corporate Start-ups neue Produkte und Geschäftsprozesse auszuprobieren, neue Kundensegmente kennenzulernen und auch bestimmte Fähigkeiten auszubilden. All dies kann in die alten Strukturen hineingebracht werden und adressiert das zentrale Thema, das Firmen heute lähmt. Ich beschreibe es so: Die Unternehmen haben während der letzten zwanzig Jahre fundamental in Effizienzsteigerungen investiert und sich immer arbeitsteiliger und spezialisierter aufgestellt. Dadurch hat kaum noch jemand in der Organisation eine Ende-zu-Ende-Sichtweise und versteht, was der Kunde möchte. Die Fähigkeit, sich zu erneuern, ist damit an vielen Stellen verloren gegangen.

Digitalisierung spielt sich in drei Kernbereichen ab: Kundenerlebnis, Produkt- oder Geschäftsmodell-Innovation und Prozessautomatisierung (Value chain). Unternehmen müssen auch entsprechende Fähigkeiten besitzen, um in den Bereichen Technologie, Organisation und Kultur die digitale Klaviatur zu spielen. Wie „fliegen“ Sie das praktisch mit den Kunden an?

Smarter Service Talk mit Jürgen Meffert

Das geschieht auf zwei bis drei Ebenen. Zunächst müssen Unternehmen einen echten Sense of Urcengy spüren. Die Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich, denn viele Kunden haben zwar darüber gelesen, die Auswirkungen der Digitalisierung im Unternehmen aber noch nicht kennengelernt. Andere haben sie erlebt – als eine Art Magic Moment. Thalia-Chef Michael Busch zum Beispiel erlebte seinen „Moment of Truth“ in England während eines Gesprächs mit Apple-Managern, die eine Kooperation im Bereich E-Reader kompromisslos und nicht gerade freundlich ablehnten. Er empfand das als notwendige kalte Dusche, die er gebraucht hätte, um den „Tolino“ in den Markt einzuführen.

Genau solch ein Erlebnis versuche ich mit meinen Klienten zu erzeugen. Wir reisen dazu nach Asien oder an die Westküste der USA, oder ich konfrontiere sie mit neuen Geschäftsmodellen oder lasse sie eine Art Benchmarking mit unserem Tool „Digital Quotient“ machen. Auf diese Weise vergleichen wir die Selbsteinschätzung mit Best Practices.

Im nächsten Schritt geht es um zwei Fragenkomplexe, die wir lösen müssen. Der erste betrifft das planvolle Vorgehen innerhalb der nächsten zwei bis fünf Jahre. Weil es um eine fundamentale Änderung des Unternehmens geht, muss überlegt werden, ob sich Chancen in neuen Ökosystemen ergeben. Der zweite Fragenkomplex zielt auf das Kerngeschäft inklusive Marketing und Sales und umfasst in der Regel drei Themenblöcke. Zum einen Multichannel, Pricing und Customer Experience Management. Zweitens Produktinnovation und drittens Supply-Chain.

Diese Fragestellungen stehen nach meiner Überzeugung immer auf zwei Fundamenten: auf der Technik und der Organisation. In technischer Hinsicht sollten Unternehmen akzeptieren, dass sie gewisse interne Fähigkeiten mitbringen müssen, etwa Breitband-Technologie oder Cybersecurity. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Maschinenbauers DMG MORI beispielsweise berichtet von täglich mehr als 8.300 Hackerangriffen auf die Maschinen.

Das zweite Fundament ist die organisatorische Abbildung: Wie können trotz hoher Arbeitsteiligkeit flache Hierarchien geschaffen werden? Wie kann eine Umgebung gestaltet werden, in der agile Produktentwicklung möglich ist? Gleichzeitig muss in einer „IT der zwei Geschwindigkeiten“ sichergestellt werden, dass die Integrität der vorliegenden Kunden- und Bestandsdaten nicht gefährdet wird. Wenn bei einem Telekommunikationsdienstleister beispielsweise Kundendaten verloren gegangen sind, die aber für die Rechnungstellung über den mobilen Kanal gebraucht werden, ist das fatal und verhindert möglicherweise neue digitale Services.

Zum Organisationsthema zählen auch die Aspekte Personalgewinnung und Software: Unternehmen brauchen für die Digitalisierung eine Reihe von Talenten, die sie möglicherweise neu einstellen müssen. Und auch für Unternehmen des traditionellen B-to-B-Maschinenbaus wird das Thema Software so wichtig werden, dass sie in diesem Bereich nur schwer überinvestieren können. Trotzdem können sie nicht alles selbst machen, sondern müssen sich Partner suchen, zum Beispiel für eine Automated Home Platform. Ein Mittelständler allein hat die kritische Masse nicht, bei sehr sich die Investition lohnt.

Das sind die Fachfragen, bis dahin können die Berater alles. Und dann kommt die Gretchenfrage: Wie kriege ich die Organisation umgebaut?

Notwendig ist ein Plan, der die Reihenfolge dessen aufzeigt, was bei der Transformation dringlich zu tun ist. Eine wichtige Voraussetzung sehe ich außerdem darin, die funktionalen Silos aufzubrechen und eine Ende-zu-Ende-Sichtweise im Unternehmen zu etablieren. Die Prozesse müssen sich verändern, aber das gelingt nicht, wenn es einen Head of Sales gibt neben einem Head of Service, einem Head of Marketing, einem Head of IT und so weiter. Das zu durchbrechen ist sehr schwer, denn der heutige Erfolg vieler Unternehmen hängt stark von den Personen ab, die diese Funktionen vorangetrieben haben. Es verwundert dann kaum, wenn der Direktvertriebs-Chef, der auf einmal Omnichannel machen soll, von Teufelszeug spricht, das er nicht braucht.

Smarter Service Talk mit Jürgen Meffert

Bestehende Strukturen aufzubrechen ist die Königsdisziplin. Wie gehen Sie da ran?

Wir gehen typischerweise so vor, dass wir die Customer Journeys definieren und uns einzelne Prozesse anschauen. Beispielsweise die Kontoeröffnung bei einer Bank: Wie machen Kunden das heute, wie könnten sie es digital machen? Beauftragt oder institutionalisiert wird ein cross-funktionales Team. Die Teammitglieder entwickeln eine Hypothese, die sie mit echten Kunden am Markt testen müssen. Das ist das wirklich Interessante.

Nicht weniger wichtig ist die Frage, ob das Digialisierungs-Team als zahnloser Tiger implementiert wurde oder ob es – frei nach James Bond – die „Lizenz zu töten“ hat. Es braucht Letzteres. Es muss dem Head of Sales genauso wie dem Head of Marketing und dem Head of IT sagen können, welche Änderungen Priorität haben. Dazu muss das Team legitimiert sein, am besten durch Institutionalisierung eines Chief Digital Officer mit entsprechenden Durchgriffsrechten. Eine solche Position ist in vielen Unternehmen geschaffen worden.

Zwei weitere Dinge sind außerdem notwendig: erstens neue Steuerungssysteme und KPIs und zweitens die Talente, die an einer solche Aufgabe schon einmal gearbeitet haben. Dabei ist es nicht wichtig, ob das eine andere Industrie mit einem völlig anderen Mindset betraf.

Was können deutsche Unternehmer vom „Lean Enterprise-Gedanken“ in der Digitalisierung lernen?

Lean-Enterprise im Produktionssegment begann vor etwa 25 Jahren, angestoßen von Toyota. Als eine Art Benchmarking-Welle erfasste der Gedanke alle anderen Automobilhersteller und ist heute gelebte Praxis. Zunächst wurde im Unternehmen ein einzelner Produktionsprozess herausgegriffen und optimiert. Dies wurde sukzessive auf immer mehr Prozesse ausgeweitet, bis es die gesamte Organisation verändert hatte. Bei der Digitalisierung wird es ähnlich sein.

Wiederum Stück für Stück werden sich Unternehmen die Prozesse vornehmen und dabei neues Selbstvertrauen gewinnen. Wenn sie einmal gezeigt haben, dass Transformation gelingt, können sie auch ein zweites oder drittes Mal Neues entwickeln. Und plötzlich entsteht Momentum. Was natürlich nicht heißt, dass zu gewissen Zeitpunkten nicht auch Führungsprozesse oder die IT anzupassen sind.

In Deutschland gibt es eine lange Ingenieurs-Tradition, aber unsere Unternehmen sind schwach auf der IT-Brust. Was machen Sie mit denen? Hidden Champions heißen vielleicht auch deshalb so, weil ihr Standort abseits liegt und sie auch als Arbeitgeber für digitale Talente meist nicht attraktiv sind.

Aus meiner Sicht gibt es zwei Antworten: Unternehmen müssen einerseits dort präsent sein, wo die Talente sind. In Deutschland sind das Berlin und München plus zwei bis drei weitere Städte. Ob die Dependance dort Start-up, Inkubator oder Abteilung heißt, sei dahingestellt. Notwendig sind aber Investitionen und ein Geschäftsauftrag.

Andererseits halte ich eine attraktive Jobbeschreibung in der neuen Arbeitswelt für wichtig. Ein Unternehmen wie Voith, Weltmarktführer bei Papiermaschinen und Wasserkraftwerken, gehört zu den Top-Fünf-Arbeitgebern für deutsche Maschinenbau-Ingenieure. Das Unternehmen hat spannende Aufgaben zu bieten und kann daher unabhängig vom Standort gut ausgebildete Fachkräfte rekrutieren. Es gibt auch Berater, die McKinsey verlassen und zu einem Mittelständler abseits von Großstädten und Ballungsgebieten wechseln.

Mit anderen Worten: Unternehmen sollten mit relevanten Projekten dort präsent sein, wo die Talente sind. Und sie sollten ein Wertversprechen aufbauen. Gerade junge Fachkräfte sehen außer dem Job durchaus andere Themen, die sie für wichtig erachten. Das hat in den alten Technologien wie Maschinenbau und Elektrotechnik geklappt, warum soll es bei der IT nicht auch klappen?

Kultur kann ich nicht managen, die ist einfach da. Da rappelt es manchmal im Karton und es gibt Gegenwind für die, die den New Spirit verkörpern. Wie gehen Sie damit um?

Ich sehe darin ein zentrales Problem, das sich weder wegdiskutieren noch kleinreden lässt. Ein Unternehmen, das von Beginn an Segelschiffe hergestellt hat, baut eher einen Fünfmaster als dass es ein Schiff mit Dampfmotor erfindet. Viele bleiben in der alten Technologie verhaftet und schaffen den Sprung ins Neue nicht. Und tatsächlich sollte man mit verdienten Mitarbeitern, die das Unternehmen 20 Jahre oder länger geprägt und in ihm entscheidend mitgewirkt haben, fair umgehen. Für diese Menschen müssen neue Rollen gefunden werden.

Es fängt beim Chef an, und es sind ausdrücklich auch die Eigentümer mit in die Verantwortung zu nehmen und auch die guten deutschen Aufsichtsräte. Diese sind in vielen Großunternehmen noch mit Industriekapitänen bestückt, die die Digitalisierung mit Sicherheit nicht mit der Säuglingsflasche aufgenommen haben. Digital@Scale erfasst als Transformationsprozess aber das gesamte Unternehmen; Aufsichtsräte müssen diesen Wandel konstruktiv begleiten.


Jürgen Meffert Dr. Jürgen Meffert ist Senior Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey & Company. Er ist sowohl Leiter der globalen Digital Practice im Bereich B2B als auch Gründer von McKinseys Initiative für mittelständische Wachstumsunternehmen. Er berät mehrere weltweit führende Unternehmen aus der Telekommunikations-, Hightech- und Medienindustrie und begleitet umfangreiche Transformationsprogramme in verschiedenen Bereichen: von Wachstums- und Innovationsstrategien, über Marketing und Vertrieb bis hin zu Prozessen und Organisation.

Vor seinem Eintritt bei McKinsey war Jürgen Meffert als Entwicklungsingenieur und Produktmanager für die Nixdorf Computer AG tätig. Außerdem gehörte er dem Gründungsteam der Open Software Foundation an. Jürgen Meffert hat einen Master-Abschluss in Elektrotechnik. Darüber hinaus hat er ein MBA-Programm an der Kellogg Graduate School of Management der Northwestern University (USA) absolviert und an der Universität St. Gallen (Schweiz) in Wirtschaftswissenschaften promoviert.

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